Die Rauminstallation Mäander von Susanne Kessler — eine Luftrauminstallation, die man trotz reichlich vorhandenem Luftvolumen mit Fug und Recht als atemberaubend und schwindelerregend bezeichnen kann, sprengt alle Dimensionen unserer bisherigen Interventionen in diesem Raum, wenn man von den über 66000 Einzelteilen der Installation von Danuta Karsten im Jahr 2012 einmal absieht: Der Höhe.

Im Jubiläumsjahr des Dominohauses (es ist in diesem Jahr bereits 20 Jahre alt) zeigen wir eine außergewöhnliche künstlerische Position, auf deren Realisierung die Künstlerin Susanne Kessler schon seit sieben Jahren hinarbeitet und die uns dieses Atrium (ganz im Sinne der Ziele unserer Domino Stiftung) völlig neu erfahren lässt: Es geht uns ja seit der Jahrtau- sendwende Jahr für Jahr darum, die Wechselwirkungen von Architektur, Kunst, Licht und Raum zu verdeutlichen unddirekterlebbarzumachen — 2014 zum 14. Mal in Folge.

Die Künstlerin (sie ist eigentlich Zeichnerin) entwickelte sich in ihrem Schaffen mehr und mehr aus der Fläche in den Raum, also von der zweiten in die dritte Dimension, blieb aber beiden Welten erhalten. Konsequenterweise bezeichnet sie diese gewaltige und doch so leichte Skulptur als ›Raumzeichnung‹ und versteht die in sieben Eisenringen unterschiedlicher Durchmesser (290/190/160 cm) eingearbeiteten Leinwände, Drähte, Eisenmatten, Papiere, Kabel, Seile, Schnüre, Netze und Strukturen als Linien, die mit Asphaltfarbe, Tusche und Acryl gezogen wurden.

Apropos Kabel, Seile und Netze: Wer wie wir das Glück hatte, die dreiwöchige Entstehungsphase dieser Installation als ›work in progress‹ mitzuerleben, sah sich in eine Art Fischereihafenatmosphäre versetzt, denn die Versatzstücke, aus denen diese Arbeit (und es war harte Arbeit!) entstand, bedeckten zunächst fast vollflächig den Boden dieses Raumes — unser Atrium war ihr Atelier!

Und tatsächlich lag die Assoziation ›Hafen‹ exakt in der Absicht der Künstlerin, denn Wasser ist das Thema dieser Installation: Direkt am Tiber in Rom lebend ist Wasser für Susanne Kessler stets präsent; sie beobachtet, wie Leben aus dem Wasser entsteht und wieder darin versinkt, wie es ruhig fließt oder sich gurgelnd in Strudeln verwirbelt. Sie sieht Algen, Schlamm, Organisches und hat all dieses — staubtrocken und bei teilweise großer Hitze unter dem Glasdach von einem Steiger aus — in ihr Kunstwerk übersetzt. Schlagartig klar wurde ihre Vision mit der Verspiegelung des Bodens, denn damit wirkt dieser Teil des Atriums wie eine Wasserfläche. Die ›Mäander‹, die verschlungenen Wasserläufe ergießen sich wie in einem Flussdelta in das große Meer. Und mit dem Spiegelboden entsteht zugleich eine räumliche Illusion, verdoppelt sich doch die wahrnehmbare Höhe und Tiefe des Raumes, wird die Vertikale betont und die Welt gewissermaßen auf den Kopf gestellt.

Ich bin begeistert von dem jetzt fertigen Ergebnis und befinde mich in einer Art Höhenrausch. Ich gratuliere Dir, liebe Susanne, zu dieser Deiner bisher größten Arbeit und uns dazu, Dich als unsere Künstlerin des Jahres 2014 gewonnen zu haben

— herzlichen Dank!

Die Einführung übernimmt Kunsthistoriker Prof. Dr. Raimund Stecker aus Düsseldorf, der die Künstlerin und ihr Werk kennt und uns die Ausstellung Mäander über das Visuelle hinaus näherbringen wird.

 

Einführung von Wolfgang Riehle, Domino GmbH – Architekten. Ingenieure. Designer – zur Ausstellung und in den Katalog „Susanne Kessler – Mäander“, Dominohaus Reutlingen, 2014