Die Zeichnungen Susanne Kesslers erschließen einen Freiraum. Es können Serien von Zeichnungen sein die übereinander geschichtet werden, mit Hilfe von Folien und Transparentpapier, so dass sich alle geschichteten Zeichnung, auf weißem Papier oder auf durchsichtigen Folie, gegenseitig beeinflussen. Sichtbar verschiedene Schichten verschmelzen zu einem Bild. Den ersten Impuls zu den Zeichnungen geben Motive wie Fundstücke aus dem Alltag oder optischen Begegnungen auf Reisen: Schriftzüge, Schneckenhäuser, Muscheln, Abbildungen in Büchern usw. Das nahezu unbegrenzte Spiel mit solchen Dingen nutzt ganz einfache Möglichkeiten: Verdopplung, Vervielfältigung, Spiegelung, Verwandlung. Wenn alles übereinander liegt, ist einzelnes oft nicht mehr kenntlich. Wir sehen aber, wenn wir mit den Augen in diese Zeichnungen eindringen wollen, in reichhaltige Interaktionen. Jede Schicht wirkt auf die andere ein, verändert das Vorhandene. Es bildet sich eine neue Gestalt, die das ursprünglich Gegebene als Grundlage aber bewahrt. Ein Vorgang, der an geschichtliche Prozesse erinnert, sogar an Archäologie. Auch ein Vorgang künstlerischen Handelns, nämlich eindringlich zu reagieren auf Vorhandenes und daher Mögliches neu zu entwickeln.
Die übereinander liegenden Zeichnungen bergen auch ein räumliches Element. Das Auge erlebt darin die Tiefenschichtung als Flächenraum.
Genauso willig wird die üblicherweise an die Fläche gebundene Zeichnung hier auch als Zeichnung im Raum erfahren, als Raumzeichnung. So können die großen den Raum füllenden und ihn durchdringenden Ranken wohl heißen. Wir sehen zuerst die kräftige den Stränge, sehen den feinen Glanz der Silberdrähte, mit denen sie umsponnen sind. Silberdrähte wie Spinnenfäden spannen sich überdies dazwischen aus, verbinden, vernetzen und erschließen dem Auge nach so vielen konzentrierten Blicken den Genus freien Schweifens über alle Drehungen, Windungen, Streckungen, Reflexe hin, über das ganze Rankenwerk, das den Raum aus seiner Beziehungslosen Selbstverständlichkeit in eine lebensvolle Dimension wandelt.
Künstlerisches Arbeiten bezeugt und fordert menschliche Gegenwart.
Kunst wird vom Menschen gemacht, gesehen und in beidem vermag sich der Mensch mehr oder weniger mittelbar selbst zu erfahren, auch zu reflektieren.
Text von Ulrike Rein zur Ausstellung „Susanne Kessler – Cappriccio“ in der Produzentengalerie Offenburg, 2005