Um den Wohnungsmangel im Berlin der ehemaligen DDR zu beheben, entstand an der östlichen Peripherie Berlins von 1977 bis Ende der 80er Jahre der Berliner Bezirk Marzahn, heute- als Bezirk Marzahn Hellersdorf – die größte Siedlung industrieller Bauweise in Europa. Nicht nur die mit Bad und Heizung ausgestatteten Wohnungen, auch das Umfeld mit ausgedehnten Grünanlagen, Kindergärten und Schulen in nächster Nähe machten das Wohnen in Marzahn äußerst begehrt. Von Anfang an war inmitten des neuen Bezirkes eine Kunstgalerie an einem zentralen Platz geplant. In unmittelbarer Nähe zu einem großen Dienstleistungsgebäude, einer Post und einem Kaufhaus wurde die Galerie 1988 eröffnet.
Heute befindet sich ihr gegenüber das Einkaufszentrum Eastgate, vom ehemaligen städtebaulichen Ensemble ist nur noch die Galerie M erhalten.
Entgegen mancher Medienberichte ist Marzahn heute kein sozialer Brennpunkt der Stadt Berlin. Ein Großteil der Gebäude mit ca. 100.000 Wohnungen ist bereits saniert. Auffallend viel Grün aber auch zahlreiche künstlerische Gestaltungen, ein großer Teil noch aus der Entstehungszeit der Siedlung, prägen den Stadtraum.
Die kommunale Galerie M im Bezirk Marzahn Hellersdorf bietet ein besonderes, auf den speziellen Standort zugeschnittenes Konzept: Die Arbeiten der ausstellenden Künstlerinnen und Künstler thematisieren den städtischen Raum in all seinen Aspekten, sie bewegen sich in Bereiche der Architektur, der Soziologie, der Philosophie und Politik.
Susanne Kesslers Ausstellung „Baustelle Zeichnung“ trägt der speziellen urbanen Situation der Galerie gleich in mehrerer Hinsicht Rechnung. Sie nutzt die Möglichkeiten des verglasten Galeriegebäudes, um die umgebende Architektur als kontrastierende Kulisse für ihren über 12 m hohen Turmbau einzubeziehen, sie greift architektonische Elemente des Ortes Marzahn auf und verarbeitet sie in kleinen – in Plexiglaskästen eingeschlossenen – Installationen, in dem riesigen Turm und in der großflächigen Wandarbeit. Die Galeriebesucher können in ihnen Vertrautes entdecken und sich darauf einlassen, der Künstlerin in vielleicht ungewohnte, aber spannende Gefilde voller Überraschungen zu folgen.
Noch einen weiteren ungewöhnlichen Zugang zu ihrem Werk bot Susanne Kessler an, indem sie den Besuchern Einblick in ihre Arbeitsweise gewährte. Während der Ausstellungsdauer entwickelte die Künstlerin als „Work in Progress“ ihren „Krisentisch“ weiter zu einer immer weiter in den Galerieraum wachsenden Installation.
Text zum Katalog der Ausstellung „Susanne Kessler – Baustelle Zeichnung“ in der Galerie M, Berlin Marzahn, 2010