Liebe Frau Kessler,

 

das war ein schöner Sonntag, gemeinsam mit Ihnen. Natür­lich wäre ich auch gerne zur Eröffnung gekommen, hätte die Wahrnehmung und Wertschät­zung Ihrer Arbeit durch andere Menschen erlebt. Aber so war es doch etwas sehr Besonderes: Nähe und Distanz, Respekt und Vertrauen – letzteres habe ich sehr intensiv erlebt.

Dabei und dafür ist mir Ihr Werk sehr wichtig. Sie vermögen im Material der Kunst auszudrück­en, wozu unsere Sprache oft nicht mehr findet. Das hat natürlich damit zu tun, dass die Wörter schon so vieles auszudrücken versuchen mussten, während Ihre Gestaltungen neu sind. Das war einer meiner ersten Gedanken, als ich mich umsah: Das sah man so noch nie!. Was? Die Ganzheit des Gewordenen und des Werdenden. Und ist nicht für diese Ganzheit gerade – soweit wir solche Wah­rheiten zu fassen vermögen – das Gehirn, das Ihnen für Ihre Formfindungen so wichtig geworden ist, ein wesentlicher Ort, sein Fassungskraft, Beweglichkeit und Veränderungsfähigkeit, Prinzip des organischen Lebens. Daher kommt ja tatsächlich der Reich­tum des Lebens und sein Glanz.

Es gab aber bei unserem Gespräch noch einen Augenblick, wo sie mir – als Künstlerin – besonders nahe waren. Das war, als Sie ver­suchten mir klar zu machen, nicht so sehr mit Worten wie mit der Bewegung Ihrer Hände, wie wichtig es Ihnen ist, die Material­ität der Fäden und Stoffe, der Pa­piere, Hölzer, auch der Drähte zu formen und dadurch zu Bildern zu machen. In diesem Verwand­lungsprozess, der ja eigentlich schon immer der künstlerische Prozess schlechthin gewesen ist, überwinden wir den Dualismus und schwingen ein in den Lebensprozess der Welt. Ich kenne viele Einwände gegen dieses Verstän­dnis, das Sein und Existenz eint, vor allem, dass es die Gegensätze von Materie und Geist, Böse und Gut ungenügend beachte. Aber ich ahne immer mehr, dass die Vervielfältigung und die Einswerdung ein und derselbe Prozess sind und das genaueste Bild des Lebens. Nichts Geringeres zeigen Ihre Arbeiten. Man kann die Formenwechsel auch nur einer Schwingung in einer ihrer Ar­beiten kaum zählen, ohne dass doch diese Schwingung aufhörte, ein Ganzes zu sein und wiederum Teil eines Ganzen. Und wichtig: Nichts davon ist gesetzhaft.

Wir haben in unsere Gesprächen auch die Frage von Leben und Tod berührt. Ich hoffe, ohne dass ich es wirklich richtig auszudrücken wüsste, dass auch dieser so schmerzende Zwiespalt Teil der beweglichen Ganzheit ist.

Ich habe dieses heute Abend noch zu schreiben versucht, weil ich nicht weiß, ob ich es in den nächsten Tagen besser kann. Sie müssen überlegen, ob sie es wirklich mit Ihrer Arbeit ver­binden wollen – ich erlebe seit Jahren, dass man es kunstfremd findet. Deshalb will ich, vielle­icht der Kunstszene ein bisschen näher, noch einmal sagen dürfen, dass ich nichts anderes meine, wenn ich den Gestaltungsreich­tum und den festlichen Reichtum von Farben und Formen in Ihren Arbeiten als Glück empfinde. Es ist die gleiche Wirklichkeit.

Brauchen Sie stattdessen die drei Sätze, die ich in Wuppertal gesagt habe, will ich versuchen, sie wie­derzufinden, zweifle freilich, ob mir das gelingt.

 

In Freundschaft

Ihr A. Smitmans

 

(Brief von Dr. Adolf Smitmans mit seinem Einverständnis publiziert im Katalog „Susanne Kessler- In Bilico, eine Dokumentation“, Artist in Residence 2009, Galerie Epikur Wuppertal)