Die Werke der in Rom und Wuppertal lebenden Susanne Kessler funktionieren nicht nach den Regeln der rationalen Logik und der geometrischen Formvorstellung. Der rechte Winkel ist in ihren Arbeiten zu denen neben der Plastik auch Malerei, Zeichnung und Collage zählen, kaum zu finden. Dafür jedoch ist umso mehr ein spielerischer Umgang mit einem tektonisch- architektonischen Formenvokabular jenseits von Konventionen und Erwartung auffällig.
Bizarr im Aussehen, vom Schein flüchtiger Dauer geprägt und mit der Dynamik einer Malerei des Zeichens, Gestus und des Ornamentes spielend, handelt es sich bei den dreidimensionalen, zum Teil begehbaren Werken Susanne Kesslers durchgängig um visionäre Gebilde zwischen Architektur, Malerei, Plastik und Installation.
Skelettartig werden sie durch ein Gerüst aus Holzpfählen gebildet, das mit Leinwand bedeckt, umspannt und verhängt ist.
Frei herabbaumelnde Leinwandstreifen, Brüche in der Kontinuität eingespannter Wandflächen und Räumliche Durch-, Ein- und Ausblicke unterstützen den Eindruck, dass, obzwar realer Werkstoff verwandelt wurde, dennoch eine aus Fetzen, Löchern und Luft bestehende Komposition vor Augen ist. In ihr ist das gemeinhin als unsichtbar empfundene Raumkontinuum sichtbare Phänomen ums Baumaterial der Gesamtanlage zugleich. Ob das so Beschaffene als architektonisches Bauwerk zu bezeichnen ist oder ob es als eigentümliches Gehäuse erscheint, das als raumgreifende Plastik eher Installation genannt werden müsste, ist eines der Rätsel ihrer Arbeit.
Doch so verwirrend die Werke sich in den unterschiedlichsten Raum und Wahrnehmungsperspektiven auch darstellen, so rhythmisch gegliedert und wohldurchgedacht ist ihr Bau. Nur vordergründig entbehren sie einer Ordnung und strukturellen Gliederung.
Tatsächlich ist kein Detail dem Zufall überlassen. Schon im Vorfeld einer eigentlichen Präsentation im Museum, in der Galerie oder in freier Natur wird alles genau erprobt und die bestimmte Position der Einzelteile in der Gesamtanlage festgelegt. Von kleinen Veränderungen abgesehen wird dieser provisorisch vorbereitete dann aufwendig an seinen endgültigen Bestimmungsort übertragen.
Entsprechend sind die Arbeiten Susanne Kessler im klassischen Sinne vom Ausstellungsort unabhängig. Denn sie sind nicht im Hinblick auf eine spezifische Raumsituation hin konzipiert. Prinzipiell können ihre Installation überall situiert werden.
Gleichzeitig spielt der Raum in anderer Hinsicht eine durchaus wichtige Rolle. In vielen Werken Susanne Kessler ist er durch komplexe, zum Erwandern einladende Ein-, Durch- und Ausgänge als leibliche Erfahrung aus dem Inneren eines Kunstwerkes heraus Wahrnehmbar. Indem man sich beispielsweise in ein Werk wie das 1995 im Wuppertaler von der Heydt-Museum gezeigt >Labyrinth< hineinbegibt, sind Aspekte der Umfangenheit, der Enge des Ausblicks, der Bewegung und des Ortes unmittelbar. Empfindungen des Raumes sind möglich, die ihn durch ästhetische Provokation jenseits der Beiläufigkeit des Alltags in seinen Sinn- und Bedeutungsdimensionen bewusst werden lassen. Trotz der großen Vielfalt verschiedenartiger Sinnesdaten, angefangen bei der Farbgebung über die Formenvielfalt, die Perspektivverschiebungen und das Teil-Ganze-Verhältnis bis hin zum Aspekt der Materialöffnungen bzw. der fensterähnlichen Durchblicke kristallisiert sich der Raum variantenreich nicht nur als ein formales Anliegen des bildnerischen Denkens sondern als ein zentraler Bedeutungsträger des Kunstwerkes heraus.
Häufig werden dabei die plastischen Interventionen im Raum zum Medium einer zwischen Traum, Ritualität, Magie, Märchen, Kindheitserinnerung und Vergangenheitsassoziation oszillierenden Poesie. Mit erzählerischer Kraft bewirkt sie beim Betrachter das gemischte Gefühl, einer Sache beizuwohnen, die ihm sowohl fremd als auch vertraut erscheint. Besteht so in einem Moment Freude darüber, die Lust eines Kindes beim Verstecken in einer phantasievoll gebauten Höhle noch einmal ausleben zu können, ist im nächsten Moment die gespenstisch wirkende Archaik der Arbeiten nicht vergessen. Eine Aura des Zerstörten, Verlassenen und Ausgestorbenen ist ebenso gegenwärtig von der man glaubt „den Resten gegenüberzustehen, die nach einer Flutkatastrophe übrig geblieben sind”(Antje Birthälmer). Es ist diese andere, Bedrohung und Angst kennende Seite der Arbeiten Susanne Kesslers, die im Verbund mit dem Phantastischen eindeutiges Gefühl und pure Rationalität nicht zulässt, wohl aber Mythos und Spiel dem Leben zurückgewinnt.
Ausstellungsbesprechung im Kunst Forum von Claudia Posca, zur Ausstellung im Von der Heydt-Museum Wuppertal „Man müsste wieder Tempel bauen“, 1994